An ihrer künstlerischen Begabung, ihrem Talent gab es von Anfang an
keinen Zweifel: Max Liebermann und Adolph Menzel, die beiden
berühmtesten deutschen Künstler der Jahrhundertwende, erkannten es
sofort und förderten sie. Dem deutschen Kaiser aber war sie zu
sozialkritisch – denn ihre erste berühmte Radierfolge bezog sich auf
"Die Weber", Gerhart Hauptmanns legendäres Theaterstück, das den
Naturalismus begründete. Und wie Hauptmann zeigte auch Kollwitz das Leid
der Weber, ihren täglichen Kampf ums Überleben, ihre gemarterten Körper.
Dieses Dilemma begleitet die Kunst von Käthe Kollwitz fortan ihr ganzes
Leben lang – Begeisterung für ihren genialen Umgang mit dem Stift und
zugleich Ruhm und Schmähungen dafür, dass sie ihre Kunst immer in den
Dienst der sozialen Sache stellte.
Florian Illies und Giovanni di Lorenzo erzählen in der neuesten Folge
des Podcasts "Augen zu" vom Leben und Wirken dieser außergewöhnlichen
Frau, die von 1867 bis 1945 lebte. Wenn es in der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts eine politische Künstlerin in Deutschland gab, dann sie:
Sie zeigt in ihren Zeichnungen und Druckgrafiken das Leid der Armen und
Ärmsten, die toten Augen der Witwen des Ersten Weltkrieges und die
ausgemergelten Leiber der hungernden Kinder der Weimarer Republik. Sie
arbeitete für die SPD und die KPD, entwarf Plakate gegen den Krieg und
gegen die soziale Ungerechtigkeit – und kämpfte voll glühender
Leidenschaft für eine gerechtere Welt.
Das Schicksal selbst war ungerecht zu ihr – sie verlor im Ersten
Weltkrieg ihren Sohn und im Zweiten Weltkrieg ihren Enkel. Über das
Trauern hat sie nicht nur deshalb Werke von zeitloser Größe und Würde
geschaffen – eine dieser trauernden Mütter erinnert heute in Berlin im
Mahnmal Unter den Linden alle Zeit und alle Völker daran, welch
menschliches Leid jeder Krieg gebiert.
Wie kaum jemand sonst konnte sie mit ihrem Stift den menschlichen Körper
und das menschliche Antlitz eine Vielzahl existenzieller Gefühle
ausdrücken lassen, die Angst, den Schmerz, die Trauer, jede ihrer
Figuren ist also auf eine ganz eigene und dann doch auch wieder ganz
allgemeine Weise vom Leben gezeichnet. Und dass die Gestalten auf ihren
Blättern oft die markanten Gesichtszüge der Kollwitz selbst zeigen,
demonstriert, auf welch seltene Weise sie sich auf das Leid ihres
Gegenübers einlassen konnte – weil sie selbst in sich einen Echoraum
dafür hatte.
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