"Es besteht die echte Gefahr, dass die Geiseln zu einer Fußnote werden"
Ein Jahr ist es her, dass die Hamas Israel überfallen hat. Am 7. Oktober
2023 wurden mehr als tausend Menschen ermordet, weit mehr verletzt und
vergewaltigt. Über 200 Menschen wurden in den Gazastreifen verschleppt,
viele sind heute immer noch in der Hand der Terroristen. Israel
reagierte mit Luftangriffen auf Stellungen der Hamas und später einer
Bodenoffensive in Gaza, gerade hat eine weitere Operation israelischer
Truppen im Libanon begonnen.
Wie hat der 7. Oktober Israel verändert – und wie die Welt? Wie geht das
Land mit den Traumata um? Hat es bei seinen Gegenschlägen überzogen,
womöglich sogar Kriegsverbrechen begangen? Und wie hat sich das deutsche
Verhältnis zu Israel verändert, zu dem Land, zu dem wir wegen des
Holocausts ein sehr besonderes Verhältnis haben und dessen Sicherheit
nach einem Satz der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel Teil der
deutschen Staatsräson ist?
Darüber sprechen wir diese Woche in Das Politikteil mit einem Mann, der
die Ereignisse aus nächster Nähe verfolgt hat. Zu Gast bei Tina
Hildebrandt und Heinrich Wefing ist Steffen Seibert, der ehemalige
Sprecher von Kanzlerin Angela Merkel, heute Botschafter der
Bundesrepublik in Israel.
Steffen Seibert erzählt von seinem persönlichen 7. Oktober, von Stunden
in Schutzräumen und von den Begegnungen mit den Angehörigen von Geiseln,
die er immer wieder getroffen hat. "Die Familien", sagt Seibert, "leben
immer noch im 7. Oktober, für sie ist die Zeit stehen geblieben." Und es
bestehe "die echte Gefahr, dass die Geiseln zu einer Fußnote werden".
Mit Seibert diskutieren wir die Lage in Gaza, die fast unerträgliche
Spannung zwischen dem israelischen Recht auf Selbstverteidigung und der
grauenhaften humanitären Lage für die Zivilbevölkerung. Seibert lässt
keinen Zweifel daran, wer dafür die Hauptverantwortung trägt: "Die Hamas
könnte diesen Krieg sofort beenden, noch heute Nachmittag." Und er
erklärt die Haltung der Bundesregierung: "Jetzt, in dieser Lage, kann
unsere Forderung nur sein, dass der Krieg in Gaza endet."
Seibert erzählt von seinen Gesprächen mit israelischen Politikern, von
der unglaublichen Stärke der Zivilgesellschaft, von seinem Gästezimmer,
das viel zu häufig leer geblieben sei, und von Besuchen im Norden des
Landes, dort, wo die Raketen der Hisbollah einschlagen: "Das ist eine
Zone der Verheerung." Angesichts der jüngsten Eskalation im israelischen
Kampf gegen die Hisbollah im Libanon sagt Seibert aber auch: "Nachdem
die militärische Logik so stark war, muss jetzt die diplomatische Logik
greifen."
Im Podcast Das Politikteil sprechen wir jede Woche über das, was die
Politik beschäftigt, erklären die Hintergründe, diskutieren die
Zusammenhänge. Immer freitags mit zwei Moderatoren, einem Gast – und
einem Geräusch. Im Wechsel sind als Gastgeber Tina Hildebrandt und
Heinrich Wefing oder Ileana Grabitz und Peter Dausend zu hören.
Hosts: Tina Hildebrandt und Heinrich Wefing
Gast: Steffen Seibert, Deutscher Botschafter in Israel
Recherche und Töne: Katja Gerland
Aufnahme: Charlotte Steinbach, Pool Artists
Aufgezeichnet am 1. Oktober 2024, 9 Uhr
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